ZfdA 130 (2001), S. 370-374
Mittelalter-Philologie im Internet
3. Beitrag: CEEC - Codices Electronici Ecclesiae Coloniensis
von Patrick Sahle
Die erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln(
1) zählt zu den bedeutendsten Handschriftenbibliotheken Deutschlands, wenn nicht weltweit. Der Wert des Bestandes beruht dabei nicht so sehr auf der Zahl der Manuskripte als vielmehr auf dem Alter und der individuellen Bedeutung eines großen Teils der Kodizes. Etliche der knapp 400 mittelalterlichen Handschriften lassen sich bereits für die karolingische Zeit in Köln nachweisen, als sie Teil der Bibliothek Bischof Hildebolds (vor 787-818) gewesen sind. Dessen Nähe zum Hof Karls des Großen und seinen kulturellen Bestrebungen bildet auf der einen Seite die Grundlage für die ungewöhnliche kulturhistorische Bedeutung einer Reihe einzelner Handschriften. Auf der anderen Seite haben die ungebrochene Kontinuität der Bibliothek und die fortwährenden Ergänzungen durch Hildebolds Nachfolger den Bestand zu einem Musterfall für den Typus einer 'mittelalterlicher Kathedralbibliothek' gemacht.
Im Rahmen eines von der DFG geförderten und von der Diözesan- und Dombibliothek gemeinsam mit der Professur für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln (Prof. Dr. Manfred Thaller) durchgeführten zweijährigen Projektes wird der Bestand mittelalterlicher Handschriften seit September 2000 digital erschlossen. Bereits nach neun Monaten ist der Gesamtbestand der knapp 400 Kodizes v o l l s t ä n d i g im WWW benutzbar, soweit es die Informationen aus den diversen Katalogen, Repertorien und Ausstellungsbänden betrifft.(
2) Darüber hinaus sollen biss zum Ende der Zwei-Jahres-Frist zunächst die Hälfte der Handschriften mit einem Umfang von rund 65'000 Seiten als digitale Abbildungen zur Verfügung gestellt werden.(
3)
Verwendet wird dabei eine digitale Kamera mit einer Auflösung von 4491 mal 3480 Bildpunkten; die insgesamt rund 15,6 Millionen Bildpunkte haben eine Farbtiefe von 24 Bit (das entspricht 16 Millionen Farben).(
4) Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten werden hier eine möglichst hohe Auflösung und eine möglichst feine Farbdifferenzierung angestrebt. Die Abbildungen kommen ohne Umwege (z.B. über andere Mikroformen oder Filme) direkt vom Original. Die daraus resultierenden Dateien bilden eine 'Archivversion' mit jeweils 35-40 Megabyte pro Bild, die auf CD-ROMs gespeichert werden.(
5) Für die Benutzung im WWW werden daraus vier Versionen unterschiedlicher Größe generiert, die jeweils mit einem 'Wasserzeichen' versehen sind.(
6)
Die Benutzeroberfläche, die unter der Adresse
http://www.ceec.uni-koeln.de
zu erreichen ist, soll die beiden üblichen Grundstrategien der Recherche ermöglichen: Das zielgerichtete Suchen mittels Suchmasken und das eher heuristische Stöbern (browsen) in vorbereiteten Listen, Registern und Verzeichnissen. Für den germanistisch interessierten Nutzer wird eine Übersicht über 'Deutschsprachiges in den Kölner Handschriften' eingerichtet werden.
Der Zugriff auf die verschiedenen Informationen und Materialien wird dadurch erweitert, daß die Inhalte miteinander verknüpft sind, so daß auch i n n e r h a l b des Materials navigiert werden kann.(
7) Zusätzlich gibt es weitere Startpunkte, die z.B. von der verfügbaren Sekundärliteratur oder von Rekonstruktionsversuchen zu verschiedenen historischen Zuständen der Bibliothek ausgehen.(
8) Mit diesen beiden Punkten ist bereits angedeutet, daß sich das Projekt nicht auf die beiden Grundpfeiler 'Metadaten' und 'digitale Abbildungen' beschränkt. Die Kontextualisierung der zentralen Informationen und Repräsentationsformen durch Sekundärtexte ist Teil einer Vision, die nicht auf einen erweiterten elektronischen Katalog, sondern auf eine virtuelle Handschriftenbibliothek zielt, die potentiell alle Informationen zum Bestand und den darin enthaltenen Texten einbinden kann. Zugleich sollen Rahmenbedingungen und Werkzeuge entwickelt und bereitgestellt werden, die eine weitere Erschließung und Erforschung der Handschriften durch die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit ermöglicht und fördert. Dies soll - im weiteren Projektverlauf - u.a. durch interaktive Masken zur Ergänzung der beschreibenden Daten, zu paläographischen oder kodikologischen Untersuchungen oder zur Transkription bislang unedierter Texte geschehen.
Ein weiterer - weniger technischer - Baustein in dieser Strategie ist der Versuch, Spezialisten der verschiedenen Disziplinen mit den für sie besonders interessanten Handschriften in Verbindung zu bringen. Im günstigsten Fall würden einzelne Fachleute in einem A d o p t i o n s s y s t e m zu individuellen Handschriften kurze Einführungen anfertigen: diese würden sowohl dem interessierten Laien einen ersten Überblick geben, um welche Art von Handschrift es sich jeweils handelt und was das historisch, philologisch oder allgemein kulturell Besondere des Kodex ist. Sie würden aber auch für den wissenschaftlich Interessierten den Stand der Forschung zusammenfassen und die offenen Fragen und Desiderata benennen.
Die Einladung, die hiermit ausgesprochen wird, kann in einer germanistischen Fachzeitschrift angesichts einer mittelalterlichen Kathedralbibliothek, in der fast alle Handschriften lateinische Texte enthalten, nur auf einen Bruchteil der Kodizes zielen. Hinzuweisen ist dabei auf zwei verschiedene Hauptgruppen: durchgängig volkssprachliche Handschriften einerseits und lateinische Texte mit volkssprachlichen Glossen andererseits.
Zu der ersten Gruppe, die wiederum grob durch vornehmlich kirchlich-religiöse Werke, durch literarische Texte und durch historische Gebrauchshandschriften gebildet wird, gehören:(
9)
Hs. 1062:(
10) Papierhs. des alten Testaments in nd. Übersetzung aus dem 16. Jh.
Hs. 1084: Nd. Papierhs. von 1478; Niederrhein. Ein Plenar bei dem "auf die lateinische Rubrik jeweils die Perikope in niederdeutscher Übersetzung und im Anschluß daran der Evangelienkommentar (ndd.)" folgt(
11).
Hs. 1117: Pergamenths. um 1500; Köln. Ein reich geschmücktes Stundenbuch, laut Census ndl., obwohl in Köln entstanden und von einem "Heinrich von Köln (alias von Zonsbeck)" geschrieben.
Hs. 266 und
Hs. 1116: Nd. Papierhss. des 15. Jh.s. Der Handschriftencensus nennt beide ganz allgemein jeweils "liber precum", weitere Informationen liegen bislang nicht vor.(
12)
Hs. 1323: Papier- und Pergamenths. des 16. Jh.s. Laut Census ein mndl. "liber precum" - mehr ist nicht bekannt.
Hs. 1503: Mnd. Papierhs. des 15. Jh.s. Auch hier spricht der Handschriftencensus nur ganz allgemein von einem Gebetbuch. Es beginnt auch mit einem 'Vater unser', es folgen aber auch andere sehr unterschiedliche Texte, darunter Auszüge aus Augustinus, die
Legende van den eylff dusent jünfferen oder 'Anweisungen zur Beichte'.
Hs. 248: Mndl. Papierhs. aus dem Ende des 15./Anfang des 16. Jh.s; Provinz Limburg (Niederlande) (?). Enthalten sind: (1.)
Die bereydinge des herten (mndl. Übersetzung von 'De doctrina cordis' des Gerhard von Lüttich [vgl.
2VL 1 (1978) Sp. 757 und 2 (1980) Sp. 1234]; bereits ediert(
13) und (2.)
Van die weerdicheit der caritaten.
Hs. 238: Papierhs. des 15. Jh.s; Linnich (Rheinland). Die Sprache bezeichnet der Handschriftencensus als "mittelhochdeutsch",
Wieland Schmidt nannte sie "mittelalterliches ripuarisch"(
14). Neben den breit überlieferten '24 Alten' Ottos von Passau(
15) enthält der Kodex auf Bl. 263r-268v die 'Sprüche Salomons' (Kap. 1-7) und auf Bl. 269r-272v Nachschriften zu Predigten des Johannes Capestrano.
Hs. 1509: Mnd. Papierhs. des 15. Jh.s. Das darin enthaltene
Leven ons Heren Jhesu Cristi ist eine Kompilation aus (Pseudo-)Bonaventura, 'Meditationes Vitae Christi', und Ludolf von Sachsen, 'Vita Jesu Christi'. Für den niederländischen Raum gibt es eine Edition, in der die Kölner Hs. nicht berücksichtigt ist.(
16) Auf Bl. 144v-147v schließt sich ein mit
Hugo van sunte victoer. Van cleynmoedicheyt überschriebener Text an.
Hs. 1364: Mnd. Pergamenths. 1360-1453; Köln. Das nur 16 Blätter umfassende Büchlein der Ursulabruderschaft ("Patrizierbruderschaft") an St. Ursula ist aus historisch-quellenkundlicher Perspektive kürzlich von
Klaus Militzer eingehend beschrieben und transkribiert worden.(
17)
Hs. 243: Mittelniederdeutsche Pergamenthandschrift 1444-1535 (1676); Köln. Bruderschaftsbuch der Maria-Magdalena-Bruderschaft an St. Laurenz, Köln. Von
Militzer ausführlich behandelt.(
18)
Hs. 1248: Mnd. Papierhs. des 16. Jh.s; Köln. Das 16 Blätter dünne Memorialbuch an der Pfarrkirche St. Johannes Evangelista enthält angeblich nur "spärliche Stiftungsnotizen, verworren"(
19);
Militzer (Anm. 17) behandelt es nicht.
Nach den zu allen Handschriften existierenden Benutzungsakten zu urteilen, hat sich im letzten halben Jahrhundert niemand mehr mit den Kodizes befaßt - sieht man von den Statuten- und Memorienbüchern sowie einer Benutzung von Hs. 1062 ab. Das ist bei diesen 'Allerweltshandschriften' des Spätmittelalters zwar verständlich, aber doch bedauerlich. Wir hoffen, mit der besseren Zugänglichkeit die weitere Erschließung anzuregen.
Ganz anders stellt sich die Situation bei den lateinischen Handschriften mit d e u t s c h e n G l o s s e n dar. Hier handelt es sich oft um besonders alte Stücke, die für die Rekonstruktion früher deutscher Sprachstände von hoher Bedeutung sind und deshalb auch schon als gut erforscht gelten dürften.(
20) In der Reihenfolge ihres Alters sind enthalten in
Hs. 213 eine Griffelglosse des 8. Jh.s, in
Hs. 19,
Hs. 57,
Hs. 107 und
Hs. 211 wenige Glossen in Kodizes des 9. Jh.s, in
Hs. 120,
Hs. 200 und
Hs. 204 wenige (120) bzw. zahlreiche (200) bzw. eine einzelne (204) Glosse in Handschriften des 10. Jh.s, in
Hs. 202 zahlreiche Glossen in einem Kodex des 10./11. Jh.s, in
Hs. 81 zahlreiche Glossen aus dem 11. Jh. und schließlich in
Hs. 199 zahlreiche Glossen in einer Handschrift des 11./12. Jh.s.
Die Einladung zur verstärkten Beschäftigung mit den Handschriften der Kölner Diözesan- und Dombibliothek beinhaltet auch die Möglichkeit, auf die Reihenfolge der Digitalisierung Einfluß zu nehmen. Diese ergibt sich nicht zuletzt aus dem Interesse, das einzelnen Kodizes entgegengebracht wird.(
21)
Patrick Sahle, Universität zu Köln, (Historisch-Kulturwissenschaftliche) Informationsverarbeitung, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln
E-Mail:
Sahle@uni-koeln.deAnmerkungen: