ZfdA 131 (2002), S. 137-139

Mittelalter-Philologie im Internet

9. Beitrag: Palatina digital: Digitalisierung spätmittelalterlicher Bilderhandschriften aus der Bibliotheca Palatina

von Maria Effinger und Eberhard Pietzsch

Im Rahmen eines von der DFG geförderten und von der Universitätsbibliothek Heidelberg gemeinsam mit dem Heidelberger Kunsthistorischen Institut (Lehrstuhl Mittelalterliche Kunstgeschichte [Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma]) durchgeführten zweijährigen Projekts werden 27 Handschriften aus der berühmten Bibliotheca Palatina in digitaler Form im Rahmen einer 'Verteilten Digitalen Forschungsbibliothek' für Forschung und Lehre zugänglich gemacht.

Die Heidelberger Bibliotheca Palatina, die in der frühen Neuzeit größte und bedeutendste deutsche Bibliothek, gelangte im Jahr 1623, als Folge der Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg, als Kriegsbeute nach Rom. Noch heute befindet sich der größte Teil dieses Bestandes in der Bibliotheca Vaticana. Bemühungen um die Rückgewinnung der Palatina führten 1816 zu einem Teilerfolg: 847 deutsche Handschriften kehrten aus dem Vatikan nach Heidelberg zurück.

Unter diesen Codices finden sich 27 spätmittelalterliche Bilderhandschriften - entstanden zwischen 1417 und 1477 in drei der bekanntesten deutschen Schreibwerkstätten des 15. Jahrhunderts. Sieben Handschriften(1) entstammen der sogenannten 'Werkstatt von 1418', die wahrscheinlich in Straßburg anzusiedeln ist. Eine weitere Gruppe von elf Manuskripten(2) wurde von Diebold Lauber und seinen Mitarbeitern im elsässischen Hagenau gefertigt. Sie repräsentiert eines der berühmtesten und mit über 80 erhaltenen Codices wohl auch das produktivste Scriptorium dieser Zeit. Die übrigen neun Bilderhandschriften(3) können einer vermutlich Stuttgarter Werkstatt zugeschrieben werden, die nach Ludwig Henfflin, dem einzigen namentlich bekannten Mitarbeiter, benannt wird. Von ihr haben sich außerhalb Heidelbergs nach heutigem Kenntnisstand keine weiteren Erzeugnisse erhalten.

26 der insgesamt 27 Handschriften(4) (Gesamtumfang ca. 15'000 Seiten) wurden in den ersten neun Monaten 2001 durch die Abteilung für Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz (http://www.kfunigraz.ac.at/ub/sosa/digitalisierung.html) vollständig in Farbe digitalisiert. Durch den Einsatz des eigens durch das Grazer Digitalisierungsteam entwickelten und konstruierten Kameratischs konnte die Belastung der wertvollen Handschriften während des Aufnahmevorgangs minimiert werden. Ermöglicht wurde so die direkte Digitalisierung vom Original ohne den Umweg über einen Film.

Verwendet wurde eine digitale Kamera mit einer Auflösung von 2016 x 3040 Bildpunkten und einer Farbtiefe von 24 Bit. Diese Archivversion mit einer Größe von ca. 18 Megabyte pro Bild wird derzeit auf 409 CD-ROMs gespeichert. Für die Web-Präsentation wurden daraus mehrere Varianten mit geringerer Auflösung generiert.

Neben der reinen Bereitstellung dieser Handschriften im Netz(5) umfaßt das Projekt im Rahmen des von der Universitätsbibliothek gepflegten Sondersammelgebiets Kunstgeschichte zudem die wissenschaftliche Erschließung der ca. 2000 digitalisierten Illustrationen und die Integration des Bestandes in das für mittelalterliche Handschriften seit 1996 im Aufbau befindliche, zentrale Nachweisinstrument der "Handschriftendatenbank" im 'Manuscripta Mediaevalia'-Projekt (http://www.fotomr.uni-marburg.de/handschriften-forum.htm). Die Einbringung der kodikologischen Katalogisate und die ikonographische Erschließung der ca. 2000 Bilder mit dem Klassifikationssystem ICONCLASS (http://www.iconclass.nl/) erfolgt durch eine Projektmitarbeiterin. Einige der Handschriften sind auch in der Handschriftendatenbank bereits recherchierbar.

Für die lokale Präsentation auf der - allerdings noch im Aufbau befindlichen - Projektseite http://palatina-digital.uni-hd.de innerhalb der "Virtuellen Fachbibliothek Kunstgeschichte" der Universitätsbibliothek Heidelberg wurde eigens eine Oberfläche geschaffen, über welche die bereits digitalisierten 26 Handschriften komplett einsehbar sind. Daneben können zu dem Handschriftenkomplex schon jetzt über ein umfangreiches Glossar Zusatz- und Hintergrundinformationen, unter anderem zu restauratorischen Gesichtspunkten, abgerufen werden. Über kurze "Allgemeine Einführungen" wird der Zugang zu den Textinhalten - auch für interessierte Laien oder Student(inn)en - erleichtert. Der kulturhistorische Kontext der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte wird ebenfalls beleuchtet. Katalogisate der Manuskripte und kunsthistorische Bildinformationen mit umfänglichen ikonographischen Informationen zu den einzelnen Illustrationen sollen die wissenschaftliche Aufbereitung komplettieren.

Zur Vorgehensweise und Technik der im Aufbau befindlichen Heidelberger Seiten:

Aus der Archivversion der Images werden für die Web-Präsentation drei weitere Formate berechnet: Thumbnails mit jeweils ca. 6 KByte Größe für Übersichten, eine Ganzseitenversion für Web-Browser mit ca. 100 KByte Größe sowie eine Druckversion mit ca. 600 KByte. Letztere wird den Benutzer(inne)n on Demand als PDF-Datei geliefert, wodurch Vergrößerungen am Bildschirm oder Ausdrucke erleichtert werden.

Darüber hinaus werden für die Web-Präsentation drei Datenquellen zusammengeführt:
- Bildinformationen
Die Erschließung der Illustrationen mit Hilfe des Datenbankprogramms HiDA für die Handschriftendatenbank wird im XML-Datenformat zur Verfügung gestellt.
- Katalogisate
Hier wird auf z.T. bereits vorhandene bzw. projektbegleitend mit einer Textverarbeitung erstellte kodikologische Erschließungen zurückgegriffen, die den Benutzer(inne)n zur Zeit als PDF-Dateien angeboten werden.
- Buchstruktur
Um den Benutzer(inne)n das Blättern am Bildschirm zu ermöglichen, wird der interne Aufbau jedes einzelnen Werkes mit einem SGML-Dokument nach der Ebind-DTD (http://sunsite.berkeley.edu/Ebind) beschrieben und schließlich in ein XML-Dokument transformiert.

Für die Web-Präsentation werden die beiden XML-Datenquellen mit XSL-Stylesheets on Demand zusammengeführt. Dies läßt die größtmögliche Flexibilität für spätere Modifikationen oder Erweiterungen der Web-Präsenz erwarten.

Als Beispiel für dieses Vorgehen sei hier die Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 21 (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg21) angeführt, der dritte Band einer der ersten deutschsprachigen und zudem noch illustrierten Vollbibeln. Bisher wurde die Textgeschichte dieser fünfbändigen, im Atelier Diebold Laubers entstandenen Bibel nie vollständig erforscht. Das Heidelberger Digitalisierungsprojekt stellt dieses, in seiner Erhaltung stark gefährdete und bislang nur schwer zugängliche Quellenmaterial der interdisziplinären Forschung im gesamten Umfang via Internet zur Verfügung.

Dr. Maria Effinger / Dr. Eberhard Pietzsch, Universitätsbibliothek Heidelberg, Postfach 105749, D-69047 Heidelberg
E-Mail: effinger@ub.uni-heidelberg.de / pietzsch@stub.uni-frankfurt.de

Anmerkungen:

  1. Otto von Passau: 'Die 24 Alten' (Cod. Pal. germ. 27); 'Elsässische Legenda aurea' (Cod. Pal. germ. 144); Rudolf von Ems: 'Willehalm von Orlens' (Cod. Pal. germ. 323); 'Rosengarten zu Worms' und 'Lucidarius' (Cod. Pal. germ. 359); 'Ortnit' (Cod. Pal. germ. 365); Ulrich von Zatzikhoven: 'Lanzelet' (Cod. Pal. germ. 371); Heinrich von Veldeke: 'Eneas' (Cod. Pal. germ. 403).
  2. Fünfbändige Bibel (AT und NT) (Cod. Pal. germ. 19-23); Martinus Oppaviensis: 'Chronicon pontificum et imperatorum' ('Papst-Kaiser-Chronik'), deutsch (Cod. Pal. germ. 137); 'Historia septem sapientum' ('Sieben Weise Meister'), deutsch, und Martinus Oppaviensis: 'Chronicon pontificum et imperatorum' ('Papst-Kaiser-Chronik'), deutsch (Cod. Pal. germ. 149); Konrad von Megenberg: 'Buch der Natur' (Cod. Pal. germ. 300); 'Virginal' (Cod. Pal. germ. 324); Wolfram von Eschenbach: 'Parzival' (Cod. Pal. germ. 339); Konrad Fleck: 'Flore und Blanscheflur' (Cod. Pal. germ. 362).
  3. Dreibändige Bibel (AT) (Cod. Pal. germ. 16-18); 'Sigenot' (Cod. Pal. germ. 67); Johannes von Tepl: 'Der Ackermann von Böhmen' (Cod. Pal. germ. 76); 'Pontus und Sidonia' (Cod. Pal. germ. 142); Elisabeth von Nassau-Saarbrücken: 'Herpin' (Cod. Pal. germ. 152); 'Lohengrin' und 'Friedrich von Schwaben' (Cod. Pal. germ. 345); 'Die Heidin' (Cod. Pal. germ. 353).
  4. Cod. Pal. germ. 300, Konrads von Megenberg 'Buch der Natur', wird erst im Jahr 2002, nach seiner Restaurierung, digitalisiert werden können.
  5. Neben den angeführten digitalisierten spätmittelalterlichen Bilderhandschriften sind jetzt auch Farbabbildungen aller Text- und Bildseiten der 'Großen Heidelberger Liederhandschrift' (Codex Manesse) zugänglich (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg848).
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