ZfdA 131 (2002), S. 407f.
Mittelalter-Philologie im Internet
14. Beitrag: Wolfram von Eschenbach, 'Parzival'. Das Basler Projekt einer elektronischen Teilausgabe
von Michael Stolz
Im Rahmen eines vierjährigen, vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts an der Universität Basel wird seit Sommer 2001 versucht, einer neuen kritischen Ausgabe von Wolframs 'Parzival' den Weg zu ebnen. Nach den überlieferungsgeschichtlichen Untersuchungen von
GESA BONATH(
1) und nach Erlanger Vorarbeiten zur Erstellung eines vollständigen Variantenverzeichnisses, die wegen des Todes von
GESA BONATH zum Erliegen kamen,(
2) soll nun eine elektronische Teiledition die bewegliche Gestalt des Textes in den mittelalterlichen Handschriften (sowie einem Druck von 1477) dokumentieren und analysierbar machen.
Die Ausgabe
KARL LACHMANNs von 1833, nach welcher der 'Parzival' noch immer gelesen und zitiert wird, stellt zweifellos eine editorische Meisterleistung der germanistischen Fachgeschichte dar. Sie kann jedoch gegenwärtigen (textgeschichtlich orientierten) Ansprüchen nicht mehr genügen, da sie letztlich auf ein nicht einholbares Autororiginal hinzielt und die mittlerweile besser bekannte Überlieferungslage nur unzureichend abbildet.
JOACHIM BUMKE, der selbst "eine neue kritische Ausgabe des Textes auf der Grundlage der gesamten heute bekannten Überlieferung" fordert,(
3) hat mit seiner Ausgabe der 'Nibelungenklage' das Muster einer "längst überfälligen Ersetzung der überalterten Ausgaben"(
4) mittelhochdeutscher Epik vorgelegt und dabei der frühen Ausprägung autornaher Parallelfassungen (und deren Verfestigung im Überlieferungsprozeß) Rechnung getragen.(
5)
Vor diesem methodischen Hintergrund arbeitet das Basler Projekt an einer elektronischen Mehrtextedition ausgewählter Abschnitte des 'Parzival'. Als Leithandschrift dient (wie schon bei Lachmann) der Codex 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen, dies jedoch unter einer veränderten Perspektive: Auf der Grundlage des Sangallensis wird ein normalisierter Basistext erstellt, der den Benutzern als Ausgangspunkt in die verzweigten Wege der Überlieferungsgeschichte dienen soll, ohne doch den Anspruch einer Identität mit dem Autortext zu erheben. Über Hypertext-Links ist der Basistext mit einem Variantenapparat traditionellen Zuschnitts sowie mit den Transkriptionen und digitalen Faksimiles sämtlicher Textzeugen verknüpft. Auf diese Weise können die verschiedenen Handschriften in ihrem Wortlaut und Erscheinungsbild miteinander verglichen werden.
Varianten-Datenbanken und statistische Methoden, die u.a. der Evolutionsbiologie entlehnt sind, sollen zudem Anstöße für eine Neubetrachtung textgenealogischer Befunde (nicht nur des 'Parzival') liefern. Mit ihrer Hilfe kann auch die Frage nach möglichen Parallelfassungen angegangen werden (etwa mit der Überprüfung der bislang postulierten Verzweigung der 'Parzival'-Überlieferung in die Versionen *D und *G). Abhängig von den Ergebnissen der anzustellenden Untersuchungen sind elektronische Darstellungsmodi zu erwägen, die verschiedene Fassungen zur Anschauung bringen, indem sie die Texte der einzelnen Handschriften zu Gruppen bündeln.
Die Erfassung der Daten erfolgt in einem Projektteam an der Universität Basel. Wir verwenden für die Transkriptionen das Tübinger Programm Tustep, für die Kollationen und die HTML-Präsentation das englische Programm Collate. Der hierbei notwendige Wechsel der Betriebssysteme läßt sich durch den Einsatz von Emulationsprogrammen bewerkstelligen. Die Kodierungen der Handschriftentranskription sind so angelegt, daß sie gegebenenfalls in die XML-Version der TEI-Richtlinien konvertiert werden können (vgl.
http://www.hcu.ox.ac.uk/TEI/P4X). Erste Sichtungen des Materials haben gezeigt, daß die 'Parzival'-Überlieferung streckenweise deutlich weniger 'fest' ist als bislang angenommen (einschlägige Beobachtungen sollen in der nächsten Zeit publiziert werden).
Weitere Informationen über das Projekt (u.a. ein Handschriftenverzeichnis und eine Editionsprobe) sind unter
http://www.germa.unibas.ch/Mediaevistik/Parzival/Projekt/ abrufbar;
seit Dezember 2002 auch unter der Adresse: http://www.parzival.unibas.ch/).
Prof. Dr. Michael Stolz, Universität Basel, Deutsches Seminar, Parzival-Projekt, Bernoullistr. 28, CH-4056 Basel
E-Mail:
M.Stolz-Hladky@unibas.chAnmerkungen: