ZfdA 133 (2004), S. 552f.

Mittelalter-Philologie im Internet

22. Beitrag: Der Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek im Internet

von Bettina Wagner

Die Bayerische Staatsbibliothek München (BSB) verfügt weltweit über den reichsten Bestand an Wiegendrucken - der Gesamtbestand beläuft sich auf über 19'930 Exemplare von etwa 9650 Ausgaben. Damit ist etwa ein Drittel aller erhaltenen Drucke des 15. Jh.s, deren Zahl auf etwa 28'000 Ausgaben geschätzt wird, in der Bibliothek vorhanden. An Zahl der Exemplare kommt keine zweite Sammlung auf der Welt der Münchener gleich: selbst die British Library in London, in deren Bestand sich mehr Inkunabelausgaben (10'390) als in München befinden, kann nur etwa 12'500 Exemplare aufweisen. In ganz Deutschland sind insgesamt schätzungsweise 125'000 Inkunabelexemplare vorhanden.

Die Größe des Bestandes verdankt sich vor allem der Übernahme älterer Sammlungen in zwei entscheidenden Phasen der Bibliotheksgeschichte: im 16. Jh. legten die bedeutenden Privatsammlungen des Orientalisten Johann Albrecht Widmanstetter (1506-1557), des Augsburger Patriziers Johann Jakob Fugger (1516-1575) und des Nürnberger Humanisten Hartmann Schedel (1440-1514) das Fundament der Bibliothek. Im frühen 19. Jh. bot sich dann die Gelegenheit, die Mannheimer Hofbibliothek Karl Theodors von der Pfalz (Kurfürst 1777-1799) mit der Münchener zusammenzuführen und in sie Bücher aus den aufgehobenen bayerischen Klöstern zu integrieren. Dadurch vervielfachte sich die Zahl der vorhandenen Inkunabeln: waren in der kurfürstlichen Hofbibliothek um 1802 nur etwa 1250 Wiegendrucke vorhanden, so belief sich deren Zahl zehn Jahre später schon auf etwa das Zwanzigfache.

Die Inkunabelsammlung der BSB stellt ein einzigartiges Quellenkorpus dar und bietet für philologische und historische Forschungen reiches Material. Aufgrund seiner Herkunft spiegelt der Bestand vor allem den Literaturbedarf geistlicher Leser aus einem relativ geschlossenen Gebiet. Im Vordergrund steht theologische und juristische Fachliteratur in lateinischer Sprache. Aber auch über 1100 Ausgaben deutscher Texte sind vorhanden, darunter zahlreiche Erstdrucke und Unikate. Die Inkunabelsammlung der BSB ist damit zugleich die größte Sammlung deutschsprachiger Drucke des 15. Jh.s. Das wohl prominenteste deutsche Unikat ist der Gutenberg zugeschriebene 'Türkenkalender' (Mainz 1454). Daneben verwahrt die BSB die einzigen erhalten gebliebenen Exemplare mehrerer wichtiger Augsburger Ausgaben, so des 'Ackermann von Böhmen' (Anton Sorg, 1484), des 'Brandan' (Johann Froschauer, 1497 und 1498), des 'Eckenlieds' (Johann Schaur, ca. 1490-91?) und des 'Heldenbuchs' (Johann Schönsperger, 1491), des 'Lucidarius' (Johann Schobser, 1488) und der 'Melusine' (Johann Schönsperger, c. 1488). Ebenfalls vorhanden sind unikal überlieferte Nürnberger Drucke, so mehrere Ausgaben von Werken des Hans Folz sowie Erhard Etzlaubs 'Romwegkarte' (Hochfeder-Nachfolger bzw. Georg Glockendon, c. 1500). An Einblattdrucken ist der Bestand besonders reich.

Die Bedeutung der Sammlung für die historische Forschung liegt daneben in der individuellen Ausstattung der Exemplare begründet. Etwa ein Zehntel der Exemplare sind mit Buchmalerei versehen. 5700 Bände, also über 40% des Bestandes, tragen einen spätgotischen Einband. Informationen zur Besitzgeschichte konnten von drei Vierteln aller Exemplare ermittelt werden - vielfach auf der Grundlage von handschriftlichen Einträgen in den Bänden, in denen oft zusätzliche Informationen enthalten sind, die Einblick in den Buchhandel der Frühen Neuzeit und in die Rezeptionsgeschichte gedruckter Texte erlauben.

Nachdem Ansätze zu einer Bestandsverzeichnung im 19. Jh. gescheitert waren und die Sammlung lediglich von LUDWIG HAIN für sein 'Repertorium bibliographicum' (1826-38) ausgewertet und damit publik gemacht wurde, ermöglichte seit den 1970er Jahren die Finanzierung durch die DFG eine Katalogisierung, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügte. Der gedruckte Inkunabelkatalog, der von 1988-2000 in fünf Bänden im Reichert Verlag Wiesbaden erschien, setzte neue Maßstäbe für die Beschreibung von Wiegendrucken: alle in einer Ausgabe enthaltenen Texte sind dort aufgeführt und die Besonderheiten des jeweiligen Exemplars detailliert beschrieben. Zum Katalog sind zwei Registerbände in Vorbereitung, die neben den üblichen Konkordanzen, einem Register der Druckorte und Drucker sowie der Buchbinderwerkstätten auch Register der literarischen Beiträger und Vorbesitzer mit biographischen Zusatzinformationen enthalten sollen.

Um die Erstellung der Register zu erleichtern, wurde der vollständige Text des gedruckten Katalogs in eine Datenbank konvertiert. Mit Zustimmung des Reichert Verlags konnte diese Datenbank nun schon vor der Print-Publikation der Registerbände im Internet frei zugänglich gemacht werden. Sie ist über die Homepage der Bayerischen Staatsbibliothek (http://www.bsb-muenchen.de/) oder direkt unter der Adresse http://www.bsb-muenchen.de/handruck/ink.htm erreichbar. Die online-Version des Katalogs erlaubt eine Recherche in verschiedenen Suchmasken (Standardsuche, Expertensuche Ausgabe, Expertensuche Exemplar, Bildsuche, Indexsuche sowie Verknüpfte Suche). Nach jedem in einer Inkunabel enthaltenen Text kann ebenso gesucht werden wie nach beliebigen Stichwörtern aus der Exemplarbeschreibung - eine Leistung, die kein gedrucktes Register bieten wird. Die einzelnen Beschreibungen können in ähnlicher Darstellung wie im gedruckten Katalog im PDF-Format angezeigt und ausgedruckt werden. Als PDF-Dateien sind zusätzlich die Einleitung und die Bibliographie zum gedruckten Katalog verfügbar.

Bereits 1998 führte die BSB ein DFG-Projekt zur Digitalisierung von druckgraphischen Buchillustrationen des 15. Jh.s durch, in dem etwa 6500 Seiten aus Inkunabeln gescannt und ikonographisch erschlossen wurden. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Digitalen Bibliothek (http://mdz.bib-bvb.de/digbib/inkunabeln) zugänglich gemacht, sind nun aber auch in den Inkunabelkatalog integriert. Sind von einem Exemplar digitalisierte Seiten vorhanden, so findet sich am Ende der Exemplarbeschreibung eine Liste der Bogensignaturen, von denen der jeweilige Scan aufgerufen und in der Ausgabe virtuell geblättert werden kann. Die Funktion 'Bildsuche' erlaubt eine Recherche in der ikonographischen Beschreibung, in den Bildunterschriften und mit der Klassifikation Iconclass (http://www.iconclass.nl). Es ist vorgesehen, die Zahl der Digitalisate kontinuierlich zu erweitern; in nächster Zeit sollen Scans von 575 zum Teil unikalen Inkunabel-Einblattdrucken integriert werden, die im Rahmen des DFG-Projekts zur Erschließung und Digitalisierung der frühneuzeitlichen Einblattdrucke der BSB (http://www.bsb-muenchen.de/handruck/einbl_opac.htm) erstellt wurden. Angedacht ist zudem eine Digitalisierung deutschsprachiger Inkunabelausgaben.

Dr. Bettina Wagner, Abteilung für Handschriften und Seltene Drucke, Bayerische Staatsbibliothek, Ludwigstr. 16, D-80539 München
E-Mail: bettina.wagner@bsb-muenchen.de
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