ZfdA 134 (2005), S. 134-137
Mittelalter-Philologie im Internet
23. Beitrag: Das Hartmann von Aue-Portal. Eine Internet-Plattform als Forschungsinstrument
von Roy A. Boggs und Kurt Gärtner
Der folgende Beitrag über das Hartmann von Aue-Portal besteht aus zwei Teilen, der erste bietet einem Überblick über die Vorgeschichte des Projekts und soll unter anderem an die Qualitätsstandards erinnern, die für die ersten auf dem Gebiet der geisteswissenschaftlichen Datenverarbeitung tätigen Philologen verpflichtend waren und nach wie vor maßgebend sein sollten; der zweite Teil bietet eine Beschreibung des Portals in seiner aktuellen Version.
I.
Nachdem in den 1960er Jahren durch Roy Wisbey und andere die Brauchbarkeit des Computers in der älteren deutschen Philologie überzeugend demonstriert worden war,(
1) wurden an verschiedenen Orten vor allem durch britische und amerikanische Germanisten die umfangreichen Werke der klassischen mittelhochdeutschen Literatur um 1200 nach den besten kritischen Ausgaben maschinenlesbar gemacht. Gerade den Klassikern galt verständlicherweise der enorme Aufwand, denn sie waren das bevorzugte Objekt der Forschung.
Ende der 1960er Jahre wurde in den USA auch mit der Erfassung der kritischen Texte der Werke Hartmanns von Aue begonnen; der Beginn fiel also noch in das Lochkartenzeitalter, die entsprechenden Anregungen kamen von
WINFRIED P. LEHMANN und
STANLEY N. WERBOW.(
2) Im Laufe der 1970er Jahre wurde die von Roy Boggs durchgeführte Erfassung mit Unterstützung der American Philosophical Society in Philadelphia abgeschlossen und die maschinenlesbar gemachten Texte(
3) einer mehrfachen Korrektur unterzogen, außerdem wurde in Zusammenarbeit mit den Hartmann-Herausgebern,
LUDWIG WOLFF (Marburg) für die epischen Werke(
4) und
HUGO MOSER und
HELMUT TERVOOREN für die in 'Minnesangs Frühling' edierten Lieder, die elektronische Version der Texte auf den editorisch neuesten Stand gebracht.
1972-75 wurden mit Unterstützung durch die Alexander von Humboldt-Stiftung die maschinenlesbaren Texte während eines Forschungsaufenthalts von
ROY BOGGS am Forschungsinstitut Deutscher Sprachatlas in Marburg lemmatisiert. Für die Lemmatisierung wurde das aus dem Nachlaß von
ERICH GIERACH stammende und im Manuskript vorliegende Hartmann-Wörterbuch benutzt, das damals im Sprachatlas-Institut aufbewahrt wurde.(
5)
Die Zusammenarbeit der beiden Autoren dieses Beitrags begann mit der Vorbereitung der Publikation der lemmatisierten Hartmann-Konkordanz. Diese 1979 mit Hilfe von
PAUL SAPPLER satztechnisch hervorragend aufbereitete Konkordanz erschien 1979(
6) und stellte wegen der Lemmatisierung damals einen grundlegenden Qualitätsfortschritt auf dem Gebiet der computergestützten Index- und Konkordanzerstellung zu einem Autor der mhd. Klassik dar.(
7) Unsere Zusammenarbeit wurde danach fortgesetzt. Obwohl
ROY BOGGS bald ganz in die aufstrebende Informatik gewechselt war, galt sein Interesse auch weiterhin der philologischen Datenverarbeitung und den durch sie eröffneten Möglichkeiten, für deren Erprobung und Nutzung die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Informatikern und Philologen unerläßlich war. Angesichts der stürmischen Entwicklung der Computertechnologie war frühzeitig für die langfristige Sicherung und Archivierung der mit erheblichem Aufwand maschinenlesbar gemachten Hartmann-Texte gesorgt worden; die digitalisierten kritischen Texte konnten daher auch den Neuauflagen der in der Altdeutschen Textbibliothek erschienenen Werke Hartmanns zugrundegelegt und kontinuierlich aktualisiert werden.
Nachdem der Computer immer mehr zu einem Werkzeug und zugleich einem Medium geworden war,(
8) begannen wir 1994, zusammen mit
WINFRIED LENDERS (Bonn) Pläne für ein komplexes elektronisches Instrument der Hartmann-Forschung zu entwickeln und die Textdaten für das neue Medium vorzubereiten. Zunächst konzentrierten wir uns auf die Entwicklung einer Arbeitsfassung des Portals als Offline-Version, da die CD damals noch als die geeignetere digitale Publikationsform erschien. Unsere internationale Zusammenarbeit wurde wieder unterstützt durch die Alexander von Humboldt-Stiftung im Rahmen ihres Transcoop-Programms; die Kooperationsergebnisse wurden 1997 unter dem Titel 'Hartmann 2000' der internationalen Fachöffentlichkeit vorgestellt(
9) und von ihr mit breiter Zustimmung aufgenommen. Angesichts des raschen Siegeszugs des Internets haben wir uns bald danach entschlossen, die Daten für eine Online-Version aufzubereiten und mit einer erweiterten Materialbasis eine internetbasierte Forschungsplattform aufzubauen.
II.
Die Aufbereitung der Daten erfolgte unter Anwendung der modernen Datenbanktechnologien und des durch das World Wide Web-Consortium (w3c) empfohlenen Datenauszeichnungsstandards XML (
eXtensible Markup Language). Das Konzept des Hartmann von Aue-Portals strebt den Aufbau einer Plattform an, die als Ausgangspunkt und Grundlage für jede philologische Beschäftigung mit den Werken Hartmanns dienen kann.(
10) Im Zentrum des Konzepts stehen daher der Text und seine Überlieferung sowie die grundlegenden Werkzeuge ihrer Erschließung.
Die im Netz zur Verfügung gestellten Ressourcen für jedes einzelne Werk Hartmanns sollten zunächst aus hochauflösenden Farbfaksimiles der Handschriften und Fragmente(
11) und deren diplomatischen Transkriptionen bestehen, d.h. den Grundlagen für die Erstellung eines kritischen Textes. Der kritische Text sollte dem Benutzer des Portals immer in der letzten maßgebenden Edition in Buchform vorliegen, denn er bildet in der jeweils aktuellen Form den zentralen Bezugspunkt des Portals.
Der publizierte kritische Text ist auch die Grundlage für die Lemmatisierung, bei der vom Philologen jeder Wortform des Textes eine grammatische Angabe und eine Kontextübersetzung ins Deutsche und Englische zugeordnet wird. In besonderen Fällen werden die grammatischen Angaben oder Kontextübersetzungen durch 'Fußnoten' erläutert. Der auf diese Weise lemmatisierte Text bildet den Input für die automatische Generierung von KLIC-Konkordanzen (
Key Lemma In Kontext), Reimindices, rückläufigen Indices und Namenregister. Aus den Kontextübersetzungen wird ein Kontextwörterbuch generiert, das die Rohform eines Textwörterbuchs repräsentiert.
Für das Portal sollen die Möglichkeiten der Verlinkungstechnik extensiv genutzt werden, damit der Benutzer alles, was er sucht, so rasch und so leicht wie möglich finden kann. Wir experimentieren noch mit verschiedenen Verfahren und Schnittstellen, um einem möglichst großen Benutzerkreis, der vom interessierten Laien und Studienanfänger bis zum Hartmann-Spezialisten reicht, die Materialien in optimaler Form zugänglich zu machen. Die datentechnologischen Arbeiten sind weitgehend abgeschlossen, die philologischen Arbeiten jedoch nur etwa zur Hälfte.
Das Konzept wurde entwickelt anhand der Materialien zum 'Armen Heinrich', weil dieser kleine und überschaubare Text im akademischen Unterricht besonders häufig benutzt wird und daher Rückmeldungen seitens der Benutzer am ehesten zu erwarten sind. Die Arbeiten zum 'Erec' und den Liedern sind weitgehend abgeschlossen, die Materialien werden in nächster Zeit im Portal zur Verfügung gestellt werden. Das Portal ist unter URL
http://www.fgcu.edu/rboggs/Hartmann/HvAMain/HvAHome.htm und
http://www.HVA.uni-trier.de zugänglich.(
12) Zu einer ausführlichen Benutzereinführung gelangt man vom Eröffnungsbildschirm durch Anklicken des Buttons 'The Execution' unter der Rubrik 'Introduction'.
Prof. Dr. Roy A Boggs, Florida Gulf Coast University, Fort Myers, FL 33965-6565
E-Mail:
rboggs@fgcu.edu
Prof. Dr. Kurt Gärtner, FB II der Universität Trier, Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren, D-54286 Trier
E-Mail:
gaertner@uni-trier.deAnmerkungen: