ZfdA 134 (2005), S. 411-413

Mittelalter-Philologie im Internet

24. Beitrag: Noch einmal: Das 'Marburger Repertorium der Freidank-Überlieferung'

von Stefanie Hein, Ines Heiser, Barbara Leupold, Barbara Stiewe und Joachim Heinzle

Vor drei Jahren konnten wir in dieser Zs. das von der DFG geförderte Projekt eines online verfügbaren Repertoriums der Freidank-Überlieferung vorstellen.(1) Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen.(2) Es hat zu einem wesentlich veränderten Kenntnisstand geführt. Er soll hier kurz umrissen werden.

Das Repertorium weist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Mai 2005) 204 Hss. mit Reimpaarsprüchen nach, die irgendwo in der Überlieferung Freidank zugeschrieben werden. Damit konnte der in der bisher maßgeblichen Monographie von BERNDT JÄGER(3) erfaßte Bestand von 118 Hss. beinahe verdoppelt werden. Den Hauptbestand bildet, wie nicht anders zu erwarten, die Corpus-Überlieferung der 'Bescheidenheit' mit der ihr zuzuordnenden Teil-, Streu- und Fragmentüberlieferung.

Dabei ist zu beachten, daß in einigen Hss. verschiedene Überlieferungsformen nebeneinander stehen. Ein prominentes Beispiel ist die Spruchsammlung des Augsburger Berufsschreibers Konrad Bollstatter aus den Jahren 1468/69 (London, BL, Ms. Add. 16581), in der drei einschlägige Autoritäten-Sammlungen (s.u.), eine Tischzucht mit inserierten Freidank-Versen sowie eine Corpus-Sammlung von ca. 1400 Versen mit Überschrift und Titelspruch eingetragen sind. Vor allem in den Sammelhandschriften des 15. Jh.s sind solche Kombinationen keine Seltenheit.

Das Repertorium erfaßt 42 Hss. - 15 mehr als JÄGER - mit lateinischem oder lateinisch-deutschem Freidank-Text. In der großen Mehrzahl dieser Hss. werden neben den lateinischen Reimpaaren die zugehörigen deutschen Freidank-Sprüche mitgeführt (in der Regel nachgestellt). Drei von ihnen enthalten neben dem lateinisch-deutschen Freidank auch einen rein volkssprachigen Freidank-Teil (Berlin, SB, mgq 1484; Heidelberg, UB, Cpg 314; [ehem.] Straßburg, Seminarbibl., Cod. C. VI. 7). Elf Hss. überliefern ausschließlich lateinischen Text.

Die lateinischen bzw. lateinisch-deutschen Freidank-Texte sind häufig in lateinischen Schulhandschriften überliefert. Vermehrt tauchen sie auch in Hss. mit lateinischen Texten theologischen, religiösen und erbaulichen Inhalts auf. Vier Hss. bezeugen besonders eindrucksvoll die bisher noch wenig beachtete Bedeutung Freidanks für die (früh-)humanistische Gelehrsamkeit (München, SB, Clm 237 und Clm 4408; Ottobeuren, Bibl. der Abtei, Ms. O. 84; Rom, Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. pal. lat. 1709).

Als Sonderformen der handschriftlichen Freidank-Überlieferung verzeichnet das Repertorium Autoritäten-Spruchreihen (darunter 2 lateinische) und die sog. 'Freidank-Predigten'.(4)

Bei den Autoritäten-Spruchreihen handelt es sich um Spruchsammlungen unterschiedlicher Länge, in denen jedem Spruch eine Kopfzeile beigegeben ist, die ihn einer legitimierenden Autoritätsinstanz (zumeist einer biblischen Figur, einem Kirchenvater oder einem antiken Philosophen) zuschreibt. Freidank-Sprüche treten hier in zwei unterschiedlichen Formen auf: Zum einen wird Material aus der 'Bescheidenheit' in die Sammlungen aufgenommen und teils Freidank, teils anderen Autoritäten zugewiesen. Zum anderen wird Freidank als Autorität für Sprüche in Anspruch genommen, die (bisher) in der Überlieferung der 'Bescheidenheit' nicht nachzuweisen sind. Es handelt sich um sieben mehrfach überlieferte Sprüche (einen Zweizeiler und sechs Vierzeiler) und sechs Einzelüberlieferungen (Sprüche unterschiedlicher Länge). Eine Edition dieser 'Autoritäten-Freidanke' ist in das Repertorium integriert. Insgesamt weist das Repertorium derzeit 45 einschlägige Hss. nach. Sie dürften nur einen geringen Teil der tatsächlich vorhandenen Überlieferung darstellen, die außerordentlich schwer zu ermitteln ist.(5)

Die zweite Sonderform, die Überlieferung deutscher Freidank-Sprüche im Kontext lateinischer Predigten, ist für die Freidank-Überlieferung von wesentlich geringerer Bedeutung, als zu vermuten war. JOSEPH KLAPPER hatte solche 'Freidank-Predigten' oder 'Proverbia Fridanci' Anfang des 20. Jh.s in einer Reihe volkskundlich orientierter Arbeiten vorgestellt.(6) Die Überprüfung ergab, daß es sich bei der Mehrzahl der deutschen Textstücke entgegen den Angaben KLAPPERs nicht um Freidank-Sprüche handelt, sondern um anonymes Sprichwortgut, oft nur um kurze Ausrufe oder Aussprüche, die weder in der 'Bescheidenheit' noch in den Autoritäten-Sammlungen parallel nachweisbar sind und auch in den Predigthandschriften nicht mit Zuschreibungen an Freidank versehen werden. Solche Zuschreibungen treten nur in zwei der zehn von KLAPPER untersuchten Hss. auf. Auf der anderen Seite sind nur zwei Hss. mit 'Freidank-Predigten' hinzugekommen, die KLAPPER nicht kannte (Jena, UB, Ms. Prov. q. 86; München, UB, 8° Cod. ms. 85). Wie groß hier die Dunkelziffer ist, läßt sich nicht abschätzen.

Außer den Hss. erfaßt das Repertorium die Freidank-Überlieferung in Inschriften und Drucken. Der Forschung waren bisher drei Inschriften bzw. Inschriften-Komplexe bekannt.(7) Das Repertorium weist nun zehn weitere des 15. bis 17. Jh.s nach.(8)

Da es sich bei den Inschriften in der Regel um zeit- und modeabhängige Dekorationen handelt, die oft als Malereien oder Schnitzereien auf wenig beständigem Material angebracht waren, ist von relativ großen Überlieferungsverlusten auszugehen. Selbst bei mehreren der bekannten Inschriften-Ensembles ist die originale Anzahl der Sprüche, die Gestaltung der Schmuck- und Bildelemente oder auch nur der ursprüngliche Standort nicht mehr sicher zu ermitteln. Gleichwohl ist mit weiteren Funden zu rechnen. Erwarten darf man sie vor allem von der Fortführung des Projektes der 'Deutschen Inschriften'.

Bei JÄGER nicht berücksichtigt ist die Drucküberlieferung. Sie besteht aus einem ca. 1490 wahrscheinlich von Konrad Kachelofen in Leipzig gedruckten deutsch-lateinischen Freidank und den sieben Ausgaben der Bearbeitung Sebastian Brants. Das Repertorium kann keine neuen Ausgaben nachweisen.(9) Doch konnten die Exemplarnachweise in der maßgeblichen Dokumentation der Brant-Ausgaben von THOMAS WILHELMI(10) erheblich vermehrt werden.

Dr. des. Stefanie Hein, Voßstr. 23, D-30161 Hannover
E-Mail: stefaniehein@online.de

Dr. des. Ines Heiser, Deutschhausstr. 40, D-35037 Marburg
E-Mail: heiseri@staff.uni-marburg.de

Barbara Leupold M.A., Fachbereich 09 der Philipps-Universität, Wilhelm Röpke-Str. 6A, D-35032 Marburg
E-Mail: leupold@staff.uni-marburg.de

Barbara Stiewe, Institut für deutsche Philologie des Mittelalters im Fachbereich 09 der Philipps-Universität, Wilhelm Röpke-Str. 6A, D-35032 Marburg
E-Mail: stiewe@staff.uni-marburg.de

Prof. Dr. Joachim Heinzle, Institut für deutsche Philologie des Mittelalters im Fachbereich 09 der Philipps-Universität, Wilhelm Röpke-Str. 6A, D-35032 Marburg
E-Mail: heinzle@staff.uni-marburg.de

Anmerkungen:

  1. J. HEINZLE und ST. HEIN, Das 'Marburger Repertorium der Freidank-Überlieferung', ZfdA 131 (2002) 274f.
  2. Zugang über: http://www.marburger-repertorien.de
  3. B. JÄGER, "Durch reimen gute lere geben". Untersuchungen zu Überlieferung und Rezeption Freidanks im Spätmittelalter (GAG 238), Göppingen 1978.
  4. Vgl. I. HEISER, Freidank als Autorität. Studien zur Rezeption eines Spruchdichters im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Diss. Marburg 2004 [im Druck].
  5. Ulrich Seelbach, der ein 'Repertorium der mittelalterlichen Autoritäten' vorbereitet, hat uns großzügig sein Material zur Verfügung gestellt. Wir möchten ihm auch an dieser Stelle für seine Hilfsbereitschaft herzlich danken.
  6. Vgl. 2VL 9 (1995) Sp. 174ff.
  7. JÄGER [Anm. 3], S. 243ff.
  8. Vgl. I. HEISER, Freidank-Inschriften, ZfdA 131 (2002) 488-493, und: Freidank-Inschriften II, ZfdA 132 (2003) 239-248; ausführliche Analysen jetzt in der Diss. von I. HEISER [Anm. 4].
  9. Auch nicht die durch die Literatur geisternde Ausgabe "Frankfurt, 1538": vgl. TH. WILHELMI, Sebastian-Brant-Bibliographie (Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache 18/3), Bern etc. 1990, S. 112 (Nr. 335).
  10. WILHELMI [Anm. 9], S. 111-114 (Nr. 332-339).
020365