ZfdA 137 (2008), S. 274f.

Mittelalter-Philologie im Internet

29. Beitrag: Das Paderborner Repertorium der deutschsprachigen Textüberlieferung des 8. bis 12. Jahrhunderts

von Elke Krotz und Stephan Müller

Seit dem 1. Mai 2007 besteht am Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens (IEMAN) der Universität Paderborn ein durch die Fritz Thyssen-Stiftung gefördertes Projekt. Sein Ziel ist die vollständige Erfassung aller Handschriften des 8. bis 12. Jh.s, die textförmige deutschsprachige Einträge überliefern. 'Textförmig' meint dabei alles, was nicht als Glosse oder Glossar aufgefaßt werden kann. In Form einer Internet-Datenbank schließt das Projekt damit eine systematische Lücke in der Dokumentation der deutschsprachigen Überlieferung: Die Glossenüberlieferung des Früh- und Hochmittelalters ist im aktuellen Katalog der Glossenhandschriften von Rolf Bergmann und Stefanie Stricker erschlossen,(1) und für die deutsche Textüberlieferung wird in den 'Marburger Repertorien'(2) die Textüberlieferung ab dem 13. Jh. ständig aktualisiert erfaßt. Offen blieb damit die Textüberlieferung der frühen Zeit. Auch für diese wurden Vorstöße unternommen: Viele ahd. Zeugnisse sind in Bernhard Bischoffs paläographischer Studie bearbeitet,(3) die Hss. der Zeit des 11. und 12. Jh.s wurden von Ernst Hellgardt in einer Handliste erfaßt und ausgewertet.(4) Das Paderborner Projekt führt gerade die Arbeiten von Ernst Hellgardt fort, der seine Materialien, aber vor allem auch seine Kompetenzen dem Projekt bereitstellt. Das Paderborner Team besteht aus Stephan Müller (Projektleiter), Elke Krotz (wissenschaftliche Mitarbeiterin) sowie Norbert Kössinger und Lina Keppler (Mitarbeiter am Lehrstuhl).

Die neue Adresse: www.paderborner-repertorium.de wird derzeit freigeschaltet, bis dahin stehen die Datensätze in beschränktem Umfang im 'Handschriftencensus' (www.handschriftencensus.de) bereit.

Seine technische Grundlage, seine Darstellungs- und Recherchesystematik, nicht zuletzt aber auch Rat und Hilfe aus einem reichen Erfahrungsschatz verdankt das 'Pader­borner Repertorium' dem Marburger Projekt. Nur so war der vorliegende Arbeitsstand realisierbar. Die Besonderheiten frühmittelalterlicher Textüberlieferung bedingten jedoch einige Modifikationen: Da Nachträge in der Frühzeit die Regel sind, mußte etwa die Datierung von Trägerhandschrift und Nachträgen separiert aufgenommen werden, um bei der Recherche gezielt nach dem Eintragungszeitraum des deutschen Textes suchen zu können. Das Beschreibungsschema ist deutlich zweigeteilt in Trägerhandschrift und deutschen Text. Die Bestände aus der Zeit 'um 1200' finden sich in der Regel im 'Marburger Repertorium deutschsprachiger Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts', sind aber auch über den 'Handschriftencensus', in dem die Bestände aller Repertorien enthalten sind, erreichbar. Dubletten bei den Texthandschriften gibt es in den Repertorien also nicht. Anders bei jenen Glossenhandschriften, die auch Texte beinhalten; hier kann das 'Paderborner Repertorium' auf den Katalog der Glossenhandschriften verweisen, will aber auch auf die selbständige Dokumentation dieser Hss. nicht verzichten.

Im Vergleich zum Katalog der Glossenhandschriften und zum 'Marburger Repertorium' ist der Bestand des Paderborner Projekts bescheiden. Bislang sind 228 Hss. eruiert, die sukzessive vollständig beschrieben werden. Dies eröffnet indes die Gelegenheit, neben den Beschreibungen auch Abbildungen im Internet bereitzustellen, wobei auf lange Sicht Vollständigkeit angestrebt wird. Einige Schmuckstücke, gerade aus dem Bereich der Streuüberlieferung, seien schon hier abschließend genannt.

Besonders internet-tauglich sind die Abbildungen der Codices discissi, da hier über zwei oder mehr geöffnete Browserfenster die Zusammengehörigkeit der über verschiedene Bibliotheken verstreuten Teile direkt veranschaulicht werden kann: Dies betrifft die 'Altalemannische Psalmenübersetzung', Otfrids von Weißenburg 'Evangelienbuch' (D) und den 'Wiener Notker', dessen Überreste sogar auf vier Bibliotheken verteilt sind und nun (ausgenommen die reinen Psalmentexte) vollständig über die Farbdigitalisate im 'Paderborner Repertorium' durchblättert werden können.

Besonderen Wert haben wir auf Abbildungsmaterial von Hss. gelegt, die bisher überhaupt nicht oder nur in schwer zugänglichen Publikationen betrachtbar waren. So sind vollständige Abbildungen angefertigt u.a. von der 'Freckenhorster Heberolle' (Münster), den ältesten deutschen Gebetsanweisungen (Beuron), den frühmhd. Colmarer Bruchstücken, dem ahd. Fragment der 'Lex Salica' (Trier), der 'Fränkischen Psalmen-Fragmente' (Wien) sowie der 'Rheinauer Gebete' (Zürich). Aber auch für bisher unklare oder unbekannte Texte wird eine neue oder erstmalige Bewertung möglich. Zum Beispiel ein bisher unpublizierter geistlicher Text (?) in einem Augsburger Leimabklatsch, die fast vollständig rubrizierten deutschen Einträge (Segen, Gebet?) in London, BL, Add. 11847, der mittelfränkische Eintrag in London, BL, Harley 3034, der rätselhafte dreizeilige Randeintrag aus dem Bereich Segensformel/Zauberspruch in Verdun 69 sowie die Wiener 'Rittersitte'.(5) Teils haben die Bibliotheken uns Farbdigitalisate zur Verfügung gestellt, teils auf unsere Anregung hin die Dateien selbst ins Netz gestellt, teils verlinken wir auf bereits vorhandenes Abbildungsmaterial.

Der Weg zu einer kompletten Dokumentation der deutschsprachigen Textüberlieferung des Frühmittelalters ist damit eingeschlagen. Das Paderborner Projekt freut sich über jeden Begleiter auf diesem Weg, der mit Neufunden, Nachträgen und Einwänden die Sammlung bereichert. Vor allem aber sind alle Forschungsbeiträge willkommen, die die Daten des Repertoriums nutzen, denn eine von der Überlieferung ausgehende Mediävistik ist es, die das Projekt anstoßen will.

Dr. Elke Krotz / Prof. Dr. Stephan Müller
Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Paderborn, Warburger Str. 100, D-33098 Paderborn

Anmerkungen:

  1. R. Bergmann und St. Stricker, Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften, Berlin/New York 2005.
  2. Neben dem 'Marburger Repertorium zum 13. und 14. Jahrhundert' steht dort mit dem 'Handschriftencensus' eine Überblicksdatenbank über diese Jahrhunderte hinaus bereit, die auch die Bestände des 'Paderborner Repertoriums' integriert.
  3. B. Bischoff, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, FMSt 5 (1971) 101-134.
  4. E. Hellgardt, Die deutschsprachigen Handschriften im 11. und 12. Jahrhundert. Bestand und Charakteristik im chronologischen Aufriß, in: Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985, hg. von V. Honemann und N. F. Palmer, Tübingen 1988, S. 35-81. Zu diesen Beständen vgl. auch Ch. Bertelsmeier-Kierst, Aufbruch in die Schriftlichkeit. Zur volkssprachlichen Überlieferung im 12. Jahrhundert, Wolfram-Studien 16 (2000) 157-174.
  5. Sämtliche hier nur kurz erwähnten Hss. sind über die überschaubare Hss.-Liste oder das Werkverzeichnis des 'Paderborner Repertoriums' schnell ermittelbar.
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