ZfdA 138 (2009), S. 420-422

Mittelalter-Philologie im Internet

33. Beitrag: Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus

von Christa Bertelsmeier-Kierst

Das von der DFG seit 1. März 2007 geförderte Projekt 'Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus' (wiss. Projektleitung: Christa Bertelsmeier-Kierst) knüpft an die bereits bestehenden Marburger Projekte zur digitalen Erfassung der deutschsprachigen Überlieferung des Mittelalters an. Während in den Repertorien für das 13. und 14. Jh. noch der gesamte deutschsprachige Bestand erfaßt wird, ist dies aufgrund der Literaturexplosion im Zeitalter Gutenbergs für den nachfolgenden Überlieferungszeitraum nicht möglich. Stattdessen wird ein Textcorpus bearbeitet, das ein vielschichtiges und repräsentatives Überlieferungsfeld für die deutschsprachige Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit darstellt.

Die Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus, die vor allem mit den Namen Heinrich Steinhöwel, Albrecht von Eyb und Niklas von Wyle verbunden ist, nimmt innerhalb der literarischen Entwicklung des 15. Jh.s eine herausragende Rolle ein, da sich mit der Einbürgerung humanistischer Texte in Deutschland zugleich ein neues Themen- und Gattungsspektrum (u.a. Humanistenbrief, Novelle, Fazetie) für die volkssprachliche Literatur abzeichnet. Zugleich fällt die Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus mit einem wichtigen mediengeschichtlichen Ereignis, der Einführung des Buchdrucks, zusammen. Mit dem Vorstoß ins Druckzeitalter ist für die Marburger Repertorien eine neue Perspektive eröffnet: der Wandel vom handschriftlichen zum gedruckten Buch, der sich in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s vollzieht. Charakteristisch für diese Übergangszeit ist das Nebeneinander von Tradition und Neubeginn, von Kontinuität und Diskontinuität. Dies betrifft die teils noch spätmittelalterlich anmutende humanistisch inspirierte Übersetzungsliteratur ebenso wie das für die Überlieferung noch zu beobachtende Nebeneinander von Handschriften- und Druckproduktion.

Eine systematische Bestandsaufnahme der frühhumanistischen Übersetzungsliteratur in Hss. und Drucken existiert bislang nicht. Neben Studien zu einzelnen Texten liegen ältere Teilverzeichnisse mit sehr unterschiedlichem Profil und Erschließungsgrad vor. Mit Ausnahme von Franz Josef Worstbrock, der 1976 die deutschsprachigen Übersetzungen antiker Texte in Hss. und Drucken von 1450-1550 verzeichnete,(1) existieren sonst nur Bibliographien zur gedruckten Überlieferung: für die Rezeption italienischer Autoren bis 1730 (Hausmann 1992);(2) zu den sog. 'Volksbüchern' in Anlehnung an die ältere Arbeit von Paul Heitz und François Ritter (Gotzkowsky 1991)(3). Ansonsten liegen nur allgemeine Handschriften-, Inkunabel- und Frühdruckkataloge vor. Damit bleibt für die Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus nach wie vor gültig, was Frank-Rutger Hausmann 1991 als Forschungsdesiderat für die Literatur des Barock beklagt hat: "Bei der Betrachtung der Kulturbeziehungen zwischen Italien und dem deutschen Sprachraum nehmen die jeweiligen Übersetzungen zweifelsohne einen gewichtigen Platz ein. Leider fehlt zur Zeit noch ein Hilfsmittel, das es auf einen Schlag ermöglichte, einen genauen Überblick über die Rezeptionsgeschichte zu gewinnen, und man muß sich erst mühsam aus Katalogen, Monographien und Bücherverzeichnissen zusammensuchen, wer was wann warum und wie übersetzt hat."(4)

Das Projekt 'Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus' (MRFH) verzeichnet die Überlieferung für das 15., später auch für das 16. Jh. Zunächst richtet sich der Fokus auf die Übersetzer der ersten Generation und das gesellschaftliche Umfeld, in dem die humanistisch inspirierte Literatur um die Mitte des 15. Jh.s entsteht. In einer zweiten Arbeitsphase sollen Autoren der 80er und 90er Jahre sowie ihr neues Wirkungsspektrum - vor allem an der Universität, am Heidelberger Hof und in den oberrheinischen Metropolen Straßburg und Basel - bearbeitet werden. Damit wird die gängige Periodisierung von 1450-1480 für den deutschen Frühhumanismus(5) überschritten und für die Übersetzungsliteratur auch die schwierige Übergangsperiode zum eigentlichen Hochhumanismus miteinbezogen.(6) Dies scheint umso mehr gerechtfertigt, als z.T. mit einer beträchtlichen Verzögerung zwischen Entstehung und Erstveröffentlichung mancher frühhumanistischen Übersetzung zu rechnen ist, teils weil sich gerade in der deutschsprachigen Literatur noch länger ältere vorhumanistische Ansätze halten - man denke etwa an Albrecht Tüngers Fazetienbuch (1486) oder die anonyme 'Filocolo'-Übertragung (Erstdruck 1499). Deshalb werden Übersetzer mit ihren Werken grundsätzlich bis 1500 aufgenommen, sofern nicht der Schwerpunkt ihres Schaffens eindeutig im 16. Jh. liegt.

Breiten Raum nimmt im Projekt die Parallelüberlieferung in Hss. und Frühdrucken ein, die den mediengeschichtlichen Wandel in dieser Zeit widerspiegelt. Gerade frühhumanistische Autoren, wie etwa Heinrich Steinhöwel oder Sebastian Brant, haben dem neuen Medium 'Druck' besondere Aufmerksamkeit geschenkt, z.T. waren sie selbst als Drucker oder Verleger tätig, um humanistische Schriften (entweder in der Originalsprache oder in volkssprachlicher Übersetzung) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Neben der Überlieferung werden zusätzlich Kurzbiographien zu den frühhumanistischen Übersetzern und ihrem Publikum bereitgestellt. Berücksichtigt werden die in den Widmungsbriefen genannten Adressatinnen und Adressaten, die oftmals aus dem Hochadel des deutschen Südwestens und Österreichs stammen wie z.B. Mechthild von der Pfalz und ihr Sohn, Eberhard von Württemberg, Eleonore und Sigmund von Tirol oder Markgraf Karl von Baden. Aber auch die zeitgenössischen Besitzer von Hss. und Inkunabeln, soweit sie sich ermitteln ließen, werden biographisch erfaßt.

Diese Erweiterung der Marburger Repertorien auf literatursoziologische Fragestellungen trägt dem im Vergleich zu früheren Jahrhunderten bedeutend reichhaltigeren Quellenmaterial Rechnung, das uns für die deutsche Literatur in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s vorliegt. So besitzen wir nun oft detaillierte Angaben zum Leben der Autoren durch Urkunden, Briefe oder Universitäts­matrikel. Auch die Werke liegen nun nicht mehr, wie in früheren Jahrhunderten eher die Regel, in einer autorfernen Überlieferung vor, sondern wir besitzen jetzt oftmals Hss., die z.T. aus dem unmittelbaren Umfeld des Autors stammen, teils sogar Autographe oder autorisierte Abschriften oder Druckausgaben sind.

Dem Repertorium (MRFH) sind umfangreiche Register, Suchmasken und Links beigegeben, die ein schnelles Auffinden und Vergleichen ermöglichen. Da Autoren und Übersetzungen in der einschlägigen Literatur oftmals nur unter den lateinischen Primärquellen verzeichnet sind, wurde ein eigenes Verzeichnis für die deutschsprachigen Autoren und ihre Übersetzungen sowie ein Gesamtverzeichnis der Werke (einschließlich der Primärquellen) angelegt; zusätzlich soll eine synoptische Suchfunktion nach Titeln in VL, GW und ISTC das schnelle Auffinden erleichtern. Eine allgemeine Suchfunktion ermöglicht es darüber hinaus, Detaileigenschaften einzelner Überlieferungszeugen abzufragen oder auch nach Texten zu suchen, die in den Hss. und Drucken der frühhumanistischen Übersetzungsliteratur im 15. und 16. Jh. mitüberliefert werden.

Besonderen Wert haben wir im Projekt auf Abbildungen der Überlieferungszeugen (möglichst in Farbe) gelegt und bemühen uns, Digitalisate (bzw. Teildigitalisate) der Hss. und Druckexemplare bereitzustellen. Darüber hinaus werden auch Abbildungen von Autographen, eigenhändigen Urkunden und Briefen der Übersetzer sowie Wappen, Mottos oder Monogramme zeitgenössischer Besitzer sukzessive ins Netz gestellt. Mit dieser digitalen Erfassung überlieferungsgeschichtlicher wie publikumsoziologischer Daten will das Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus (MRFH) einen Beitrag zur Grundlagenforschung im Rahmen einer kulturgeschichtlich orientierten Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit leisten.

Am Marburger Projekt MRFH wirken mit: Christa Bertelsmeier-Kierst (Projektleitung); Tina Terrahe; Franziska Schröder als Nachfolge für Stefanie Henkel (Handschriften); Christoph Wagenseil (Drucke und Datenbank) und Stefan Lawatsch (Biographien).(7)

Prof. Dr. Christa Bertelsmeier-Kierst, Institut für Deutsche Philologie des Mittelalters im Fachbereich 09 der Philipps-Universität, Wilhelm-Röpke-Str. 6A, D–35032 Marburg
E-Mail: bertelsm@staff.uni-marburg.de

Anmerkungen:

  1. F. J. Worstbrock, Deutsche Antike-Rezeption 1450-1550, Boppard 1976.
  2. F.-R. Hausmann, Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von den Anfängen bis 1730, Tübingen 1992. Zur frühhumanistischen Übersetzungsliteratur weist die Studie erhebliche Mängel auf. Ich greife stellvertretend nur einige Irrtümer zu Heinrich Steinhöwel heraus: Das angegebene Todesdatum 1482/83 (S. 171f.) ist veraltet. Unter Berufung auf Goedekes Grundriß (21884) wird Heinrich Steinhöwel fälschlich als Übersetzer verschiedener Einzeldruckbearbeitungen aus dem 'Decameron' genannt: [0147], [0148], [0150]. Als Incipit des 'Griseldis'-Erstdrucks (Augsburg, G. Zainer, 1471) wird bereits das Vorwort Steinhöwels zitiert, das der Autor erst 1473/74 für die Ulmer Ausgabe J. Zainers verfaßt hat (usw.). Weitere Lücken und Irrtümer sind in den Rezensionen zu Hausmanns Bibliographie vermerkt: A. Noe, IASL 19,2 (1994) 237-245; A. Martino, Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu F.-R. Hausmanns Bibliographie (Chloe. Beihefte zum Daphnis 17), Amsterdam/Atlanta 1994, aufgeführt. Leider wurden die Fehler auf der CD-Version, die 2005 bei Niemeyer in Tübingen erschien, nicht korrigiert.
  3. B. Gotzkowsky, 'Volksbücher'. Prosaromane, Renaissancenovellen, Versdichtungen und Schwankbücher. Bibliographie der deutschen Drucke, Baden-Baden 1991. - Diese Arbeit berührt die frühhumanistische Übersetzungsliteratur jedoch nur peripher und orientiert sich bei der Auswahl des Textcorpus vor allem an der Auflagenhöhe volkssprachiger Texte im 15. und 16. Jh.
  4. F.-R. Hausmann, Deutsche Übersetzungen italienischer Literatur im Zeitalter des Barock, in: Italienisch-Europäische Kulturbeziehungen, hg. von B. Winklehner, Tübingen 1991, S. 151-163, hier S. 151
  5. Vgl. z.B. E. Bernstein, Die Literatur des deutschen Frühhumanismus (Sammlung Metzler 168), Stuttgart 1978.
  6. Das MRFH folgt damit den ursprünglichen Überlegungen des Verfasserlexikons, das mit Recht zwischen der neulateinischen Literatur ab 1480 und der deutschsprachigen Literatur desselben Zeitraums unterscheidet. Vgl. hierzu F. J. Worstbrock, in: VL Deutscher Humanismus 1 (2008), S. V.
  7. Link: http://mrfh.online.uni-marburg.de
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